Moses Mendelssohn in Potsdam (Berliner Tor)

Der preußische König Friedrich II, genannt der Große, hatte auf seinem Schloss Sans Souci Verhandlungen mit dem Kursächsischen Gesandten, Geheimrath und Minister Baron von Fritzsch. Beim Abschiedsessen am 29. September 1771 äußerte der Gesandte, dass er am nächsten Tag nach Berlin fahren möchte um den berühmten Moses Mendelssohn zu sehen und kennenzulernen.

Aus irgendeinem Grund wollte aber der König nicht, dass der sächsische Minister von Fritzsch über Berlin fuhr und schlug vor, stattdessen noch einen Tag länger in Potsdam zu verbleiben. Er werde den Moses nach Potsdam kommen lassen. Eine entsprechende Order erging umgehend an Mendelssohn. In ihr stand, dass er sich umgehend morgen Mittag beim König einzufinden hätte. Dieser Tag war jedoch ein jüdischer Feiertag: Schmini Azeret (Schlußfest). Da für Juden das Reisen an solch einem Tag untersagt war, berief der Oberlandesrabbiner eine Versammlung ein, die entschied: Im gegenwärtigen Fall ist eine Ausnahme zu gewähren, da ein ausdrücklicher Befehl des Landesherrn vorliege. Moses Mendelssohn wurde aber angewiesen, das Rosenthaler Tor in Berlin zu Fuß zu verlassen und auch vor Potsdam aus dem Wagen zu steigen und zu Fuß hineinzugehen.

Porträt Moses Mendelssohn. Öl auf Leinwand, von Christian Bernhard Rode, 1768. GLEIMHAUS Museum der deutschen Aufklärung, Halberstadt

 

Er hielt sich an diese Weisung und traf am Berliner Tor in Potsdam seinen Freund, den Fähnrich Carl Wilhelm von Knebel, der ihn in die Stadt hineinließ. Da Mendelssohn aber zum Schloss Sans Souci wollte, musste er diese am gerade neu erbauten Brandenburger Tor wieder verlassen. Beim Passieren dieses Tores wurde er von der Wache angesprochen: „Wohin will der Jude hin?“ Zugleich wurde er vom zuständigen Offizier ausgefragt, was sein Geschäft sei. Moses antwortete, dass er auf Befehl des Königs hier sei und überreichte ihm den Brief. Da in dem Schreiben vom berühmten Herrn Moses Mendelssohn die Rede war, fragte der Offizier den Philosophen, worin er denn so berühmt sei? „Ich spiele aus der Tasche“ war die Antwort, in einem Anflug von Laune. Somit ließ der junge Offizier ihn gehen.

Gegen 11:30 Uhr traf Moses Mendelssohn beim Schloss ein und wurde vom sächsischen Gesandten herzlich empfangen. Es blieb aber nur eine viertel Stunde Zeit, da von Fritzsche zum König musste, um mit jenem Mittag zu speisen. Nachmittags 4:00 Uhr solle er wiederkommen. Dann hätte er mehr Zeit für ihn. Moses Mendelssohn unterhielt sich beinahe drei Stunden mit dem sächsischen Gesandten über seine Werke und Anderes. Zum Abschluss wandte sich der Minister nochmals an Moses Mendelssohn, es ist ihm unbegreiflich, dass so ein fähiger, klarer philosophischer Kopf sich nicht zum Christentum bekennt. Daraufhin soll dieser auf Jiddisch geantwortet haben: „Was soll ich creditiern dem Sohn, as der Vater noch lebt?!“ 1

Eine Begegnung Mendelssohns mit Friedrich II. ist nicht überliefert, wie der Freund des jüdischen Philosophen, Gotthold Ephraim Lessing, am 30.10.1771 an seinen Bruder Karl Gotthelf in Braunschweig schrieb.

Zu dieser Zeit weilte die Königinwitwe von Schweden und Begründerin der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, eine Schwester Friedrich II., bei ihrem Bruder. Am 04.01.1772 schrieb sie an ihren Vorleser Beylon einen Brief, in dem sie berichtet, dass der berühmte Jude Mendelssohn zweieinhalb Stunden mit ihr im Gespräch verbrachte.

Aber Friedrich dem Großen, Fredericus le Phylosoph, dürften die in Französisch erschienenen Schriften von Moses Mendelssohn nicht unbekannt gewesen sein. Unwahrscheinlich ist, dass beide diese Gelegenheit zu einem Gespräch nicht genutzt haben. Es ist auch möglich, dass der König seine jüngste Entscheidung in der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin nicht vor Moses Mendelssohn rechtfertigen wollte und deshalb wenig Neigung zeigte, am Gespräch teilzunehmen. Denn aus den Akten der königlichen Akademie geht folgendes hervor: Nachdem am 07.02.1771 ein Platz in der königlichen Akademie vakant wurde, schlugen die 19 Mitglieder vor, den „Juden Moses“ auf diesen Platz zu berufen. Dieser Vorschlag wurde seitens des Königs keiner Antwort gewürdigt. Die letzte von mehreren Sitzungen zur Wahl eines Nachfolgers endet mit drei Vorschlägen, diesmal ohne Mendelssohns Namen. Der König entschied sich für keinen der Vorschläge. So blieb dieser Posten bis 1783 unbesetzt.

Literatur:

1 Nach der Handschrift des Sohns des Augenzeugen Carl Wilhelm v. Knebel, Major a.D. und damals Fähnrich der Garde und mit Moses Mendelssohn befreundet., in: Bruno Strauß: „ Moses Mendelssohn in Potsdam am 30. September 1771“. mit einem Essay von Eva J. Engel. Reprint, hrsg. von Julius H. Schoeps, Berlin 1994, S. 78.

Autor: Dieter Rauer