Jagdschloss Glienicke

Liv Krönes

Glienicke war in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein kleines und armes Dorf nordöstlich von Potsdam. Die Familie von Schlabendorff verkaufte es an den Kurfürsten Friedrich Wilhelm, der dort im Jahr 1678 durch Phillipe de Chieze ein Jagdschloss errichten ließ. Dieses baute Phillipe Dieussart aber nur vier Jahre später wieder um. Da das Jagdschloss durch seine Lage an der Havel und der Landstraße nach Berlin sehr günstig lag, war es für die Familie des Kurfürsten nicht nur als Nebenresidenz von Gebrauch und Interesse, sondern auch von hohem geschäftlichem Wert. Doch nicht allein die Lage des Schlosses machte es für die damalig dort Lebenden so interessant und vornehm. Auch der edle Schmuck des Schlosses sorgte dafür, dass es sich mit anderen Stadtschlössern durchaus messen konnte und ihnen in nichts nachstand.

Nach seinem Regierungsantritt 1713 wandelte Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. dieses Schloss in ein Lazarett zur Behandlung von Soldaten mit venerischen Krankheiten um. Doch änderte sich der Nutzen des Schlosses im Februar 1758. Der neue preußische König Friedrich II. ließ dem Generaldirektorium als oberster Zentralbehörde nämlich mitteilen, dass er dem Potsdamer Schutzjuden Isaac Levin Joel soeben das Jagdschloss Glienicke samt Gärten und Wiesen geschenkt habe. Der jüdische Unternehmer sollte darin den für die Errichtung seiner Tapetenfabrik benötigten Platz finden.

Es gibt viele verschiedene brandenburgisch-preußische Darstellungen, die die Wachstapeten oder auch Wachstücher beschreiben. In jeder taucht aber die Manufaktur von Isaac Levin Joel auf. Sie war also eine ganz besondere Fabrik.

General Friedrich Bogislav von Tauentzien, der die Grundlage für die Nutzung des Jagdschlosses als Wachstapetenfabrik geschaffen hatte, schrieb Joel einen auf den 19. April 1758 datierten Brief. Er teilte ihm mit, dass der König gnädigst zugestimmt hätte, ihm den Hof des Schlosses als Nutzungsfläche der Tapetenfabrik zu übergeben. Außerdem schrieb Tauentzien einen Brief an den Kriegsrat Linger in Potsdam, er solle Isaac Levin Joel eine Summe in Höhe von 5.000 Reichstalern für die geplante Manufaktur als Kredit zur Verfügung stellen. Vor der Übergabe des Schlosses an den Fabrikanten erarbeitete der vom Generaldirektorium beauftragte Bauinspektor Hildebrandt einen Bauplan, auf dem sowohl die drei Etagen des Schlosses als auch die zwei Seitenflügel abgebildet waren. Doch er verzeichnete nicht nur die großen Räume des Schlosses, sondern ging ins kleinste Detail. Sogar die Anzahl der Türschlösser und Öfen in den einzelnen Räumen stellte er dar. Für die Tapetenfabrik waren jedoch vor allem die in der Karte verzeichneten Gärten und Höfe notwendig. Dennoch war die Nutzung des Gartens an Bedingungen geknüpft. Unter anderem wurde Joel verpflichtet, für die damalige Seidenproduktion bedeutende Gewächse, nämlich 100 Maulbeerbäume, zu pflanzen.

Dies war nicht die einzige Bedingung. Isaac Levin Joel musste vor der Übernahme des Schlosses auch die vorherigen Bewohner, den Unteroffizier Büttner und seine Ehefrau Maria Magdalena, abfinden. Die vom neuen Besitzer zu zahlende Entschädigungssumme belief sich auf 315 Reichstaler. Da er außerdem jedes Jahr eine Pacht für Büttners abgetretenen Teil zahlte, zogen sich die Verhandlungen noch bis ins Jahr 1760.

Im April des gleichen Jahres ließ Kriegsrat Linger mitteilen, dass er die Fabrik untersucht hatte und sich in dieser sowohl angefangene als auch fertig bedruckte und bemalte Tapeten befanden. Bemalt wurden diese von mehreren Malern aus Leipzig und Glienicke, unter anderem Michael Henschel, Johann August Pesch und Friedrich Wilhelm Pistorius. Im Weiteren nannte Linger den einheimischen Leineweber Dielitz, was die Behörden im positiven Sinne beeinflusste. Joel konnte daraufhin auch Leinwände aus Sachsen einfahren lassen, erhielt aber nicht nur in diesem Punkt eine Begünstigung. Ihm gewährte man außerdem Akzisefreiheit (Befreiung von Steuern / Zoll) und eine Befreiung von den Transportkosten. Diese Entlastungen waren damals nicht üblich für Juden, sondern nur für christliche und hugenottische Manufaktur-Unternehmer. Isaac Levin Joel produzierte inzwischen so zuverlässig in hoher Qualität für die Bedürfnisse des Herrscherhauses und der brandenburgischen Elite, dass der König ihn mit diesem Entgegenkommen förderte und verpflichtete.

Die handgemalten Tapeten waren sehr kostbar, da sie zum einen lebendiger als die gedruckten wirkten und man sie zum anderen mit sehr viel Arbeits- und Zeitaufwand anfertigte. Joel spezialisierte sich vor allem auf eine besondere Art der Tapete, die „Pequins“. Diese edlen Tapeten waren ursprünglich aus Seide, welche man dann mit Farben nach chinesischem Geschmack bemalte.

Viele der in Joels Manufaktur Arbeitenden hatten keine Handwerkslehre absolviert. Deshalb musste er als Geschäftsleiter nicht nur Kenntnisse über die verschiedenen Arten und Schritten der Tapetenherstellung besitzen, sondern auch über kaufmännische Fähigkeiten verfügen. Natürlich gehörte auch eine große Summe Geld als Startkapital für eine erfolgreiche Manufaktur dazu. Woher Joel dieses hatte, ist noch nicht wirklich geklärt. Er selbst erklärte, dass er 20.000 Reichstaler, eine für die damalige Zeit beachtliche Summe, selbst dazu beigesteuert hatte.

Trotz der hohen Summe an Geld, die Isaac Levin Joel selbst zum Wohl der Fabrik hinzuzahlte, machte er das Generaldirektorium 1769 darauf aufmerksam, ihm die zur Übernahme des Schlosses ursprünglich versprochenen 5000 Reichstaler auszuzahlen. Sonst sehe er sich veranlasst, die Löhne seiner Mitarbeiter und die zur Aufrechterhaltung der Konkurrenzfähigkeit vorgesehenen Geldmengen zu reduzieren. Aus einem langen Schriftwechsel zwischen ihnen geht jedoch hervor, dass er diese Summe an Geld nicht erhielt.

Natürlich hatte auch Joel Konkurrenten, die seine Fabrik anschwärzten und versuchten, ihn betriebsunfähig zu machen. So musste er ausweisen, dass seine Tapetenmanufaktur gut arbeitete und berichtete im Mai 1764, Tapeten im Wert von 12.000 bis 13.000 Reichstalern angefertigt zu haben. Außerdem sagte er, im Gegensatz zu anderen Fabriken des Landes die Leinwände im Land spinnen und weben zu lassen. In einem Bericht aus dem Jahr 1768 geht hervor, dass in der inzwischen aufblühenden Fabrik des Waisenhauses circa 100 Mädchen direkt in diesem und weitere 15 außerhalb arbeiteten. Er erwähnt außerdem, welche großen Schwierigkeiten er während des Siebenjährigen Krieges mit seiner Fabrik durchlebte. 1769 beantragte Isaac Levin Joel, Waisen des Militärwaisenhauses bei sich in der Manufaktur auszubilden, die Kosten für diese übernahm er dabei selbst.

Nachdem sich die Versorgungslage für die Materialien der Fabrik durch das königliche Verbot der Verarbeitung fremder Seidenwaren und den erleichterten Zugang zu Leinwand und Flachs aus Pommern und Schlesien verbessert hatte, standen große Veränderungen in der Produktion an. Diese neue Situation brachte hohe Kosten mit sich. Dazu gehörte nicht nur die Umstellung der Webearbeiten von Seide auf Leinwand und Leinen. Joel musste außerdem 50 Mädchen für 3 Jahre anlernen lassen. Um staatliche Hilfe für seine Manufaktur zu erhalten, beantragte er darum 1772 eine Genehmigung zur Lieferung seiner Produkte an preußischen Regimenter. – Hugenotten und andere christliche Unternehmer hatten bereits solche Unterstützung erhalten. Joels Antrag lehnte das Fünfte Departement des Generaldirektoriums jedoch am 17. März 1772 ab.

Isaac Levin Joel hatte aber auch andere Vorschläge zur Erweiterung seiner Fabrik. Er schlug vor, neben Tapeten und Manschetten auch Sterbegewänder zu produzieren, die damals teuer aus Schlesien geliefert wurden. Was letztendlich aus diesem Vorschlag wurde ist nicht bekannt. Doch der jüdische Unternehmer gab auch weiterhin nicht auf. 1783 bat er um Erlaubnis für die Herstellung von Schnupftüchern. Um dies tun zu dürfen, brachte er viele Argumente, wie die Möglichkeit der preiswerten und qualitativ hochwertigen Herstellung durch zahlreiche gute Geschäftsverbindungen. Dieser Antrag wurde schließlich am 17. Dezember 1783 bewilligt.

Nach einer Untersuchung zur Situation der Joelschen Manufakturen 1768 ergab sich, dass Waren im Wert von 3.000 Reichstalern und Materialien im Wert von 600 Reichstalern vorrätig waren. Außerdem wurde bekannt, dass Isaac Levin Joel jedes Jahr zwischen 10.000 und 18.000 Reichstaler an das Militärwaisenhaus für deren Arbeitskräfte und Räume zahlte. Dies zeugte vom großen Umfang seines Unternehmens und dessen Gewinn. Man schrieb sogar Lieder über seine Wachstapetenfabrik.

Isaac Levin Joel starb als angesehener Mann 74-jährig am 19. Juni 1785 in Potsdam und wurde auf dem Jüdischen Friedhof am Pfingstberg beerdigt. Seine Söhne firmierten nun unter dem Namen Isaac Joel Erben. Der von ihnen gesetzte, einzigartige Grabstein ist erhalten geblieben und besteht aus einer Marmortafel mit breitem Sandstein-Rahmen. Die dicht gepackte Inschrift in Hebräisch ehrt ihn und sein Engagement für die Potsdamer Juden.

Das Jagdschloss wurde durch Joels Söhne zunächst weiterhin als Fabrik genutzt und geriet 1827 in die Hände des Pädagogen Wilhelm von Türk. Dieser machte daraus 1832 ein Waisenhaus. 1859 ließ Prinz Karl von Preußen das Schloss für seinen Sohn durch den Hofarchitekten Ferdinand von Arnim im Stil des Barock umbauen. Albert Geyer stockte das Jagdschloss Glienicke 1889 auf und fügte einen Turm hinzu.

Nach dem Ersten Weltkrieg (1914-1918) verfiel das Schloss, gelangte aber in das Eigentum des jüdischen Unternehmers und Bierbrauers Ignatz Nacher. Bereits 1934 wurde sein gesamter Besitz arisiert. Der Staatskommissar für Berlin, Julius Lippert, und die Dresdner Bank erpressten die Herausgabe der Aktien und die des Schlosses mitsamt Park. Der NS-Politiker beanspruchte das Schloss für sich selbst, während er den Park der Allgemeinheit zur Verfügung stellte. Beides war in den Besitz der Stadt Berlin übergegangen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg (1939-1945) wurde das Jagdschloss zu einer Jugendherberge und diente als Kulisse für Nachkriegsfilme. 1963 erfolgte unter Leitung des Architekten Max Taut der Umbau zu einer Jugendbegegnungsstätte. Diese wurde als solche von 1964 bis 2003 genutzt, hier fand 1997 auch die Gründung des Berliner Instituts für kritische Theorie statt. Seit 2003 wird das Gebäude durch das Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg genutzt. Darüber hinaus steht es als Unterkunft für Tagungen und Workshops zur Verfügung.

Nach einem Kabelbrand 2003 brannte der Südflügel des Schlosses ab, den man 2005 wieder aufbaute. Das dazugehörige Richtfest wurde am 23. August 2006 gefeiert. Im April 2008 begannen mit der Erneuerung des Küchengebäudes weitere Bauarbeiten, 2009 folgte die Sanierung des Hauptgebäudes. Die Neueröffnung des Schlosses war für April 2011 geplant. Dies einzuhalten, entpuppte sich aber schwerer als gedacht, da es Streit um die Veränderung des Hauses gab. 2012 schloss man den 14 Millionen Euro teuren Bau endlich ab.

Heute ist dieses geschichtsträchtige Gebäude mit seinem Park zu bewundern und gilt offiziell als Bestandteil des UNESCO-Weltkulturerbes Schlösser und Gärten von Potsdam und Berlin.

Literatur:

Erika Herzfeld: Der Schutzjude Isaac Levin Joel – ein hervorragender Manufakturunternehmer, in: Irene Diekmann / Julius H. Schoeps (Hrsg.): Wegweiser durch das jüdische Brandenburg, Berlin 1995, S. 286-309.

Internet:

Johannes Ludwig: Der Revolver lag schon auf dem Tisch. Die „Arisierung“ der Engelhardt-Brauerei – eine Fallstudie, in: Die Zeit Archiv (17) 1989, in: https://www.zeit.de/1989/17/der-revolver-lag-schon-auf-dem-tisch/komplettansicht?print [04.06.2019]

Internationale Architektur-Datenbank archINFORM, in: https://deu.archinform.net/projekte/12292.htm [04.06.2019]

Sozialpädagogische Fortbildungsinstitut Berlin-Brandenburg, in: https://sfbb.berlin-brandenburg.de [04.06.2019]

Beitragsbild: Liv Krönes