Interview mit Karin Bürger und Dr. Olaf Glöckner

Interview mit Karin Bürger, Bibliothekarin im MMZ, am 21. März 2019

Beim MMZ handelt es sich um ein An-Institut der Universität Potsdam. Ein An-Institut ist rechtlich selbstständig. Unsere Rechtsform ist ein Verein, aber wir arbeiten in Kooperation mit der Universität. Das heißt, dass Kollegen an der Universität teilweise unterrichten, also in den Semestern Lehrveranstaltungen anbieten.

Wie kann man sich denn Ihren Tagesablauf vorstellen?

Mein Tagesablauf richtet sich nach den Öffnungszeiten und dem Bedarf der Kollegen, also Literatur, Informationen und Material bereitzustellen. Deshalb richte ich mich auch nach ihrer Anwesenheit. Manchmal haben wir Abendveranstaltungen und dann müssen natürlich auch Gäste durchs Haus geführt werden.
Außerdem gibt es externe Anfragen zu einzelnen Sammlungen, da die Bibliothek zu 80 Prozent aus Werken besteht, die aus ehemaligen Privatbibliotheken von jüdischen Gelehrten kommen. In diesen Bibliotheken waren natürlich sehr viele alte und auch hebräisch-sprachige Bücher, aber auch Archivmaterialien. Damit müssen wir umgehen, wir können das also nicht katalogisieren wie in normalen Bibliotheken, sondern wir erfassen alles, was als Spuren ablesbar ist. Wenn also jemand mit seiner Bibliothek sehr intensiv gearbeitet hat, dann hat er in die Bücher reingeschrieben und sich Notizen gemacht. Oder er hat Anstreichungen gemacht oder Briefe hineingelegt, Zeitungsausschnitte etc. Das müssen wir alles dokumentieren, damit so ein Gelehrtenleben am Ende auch rekonstruierbar wird. Das ist unser Anspruch und wir werden immer wieder bestätigt darin, dass diese Arbeit sinnvoll ist.

Wenn Leute zu einer Person Biografie-Forschung betreiben, haben sie die Bibliothek zunächst gar nicht im Blick. Dann stoßen sie über eine Online-Recherche doch auf einen Umstand, der für sie so wichtig ist, dass sie in die Bibliothek kommen und sich auch mit ihr befassen. Erben oder auch vertraute Personen dieser meist verstorbenen Gelehrten wenden sich an uns, damit ihr Nachlass an einen geeigneten Ort kommt. Das ist eine große Verantwortung. Viele Erben und Erblasser wählen ganz bewusst keine großen Archive, weil sie wollen, dass der Nachlass zusammenbleibt und von jungen Leute genutzt wird. Und dafür brauchen sie Garantien wie unser Sammlungskonzept. Deshalb wird uns das Material dann auch anvertraut. Aber es ist viel Arbeit mit alten Büchern, auch schmutzige. Es kommen Leute ins Haus, die gezielt hier arbeiten, Hausarbeiten machen, Doktorarbeiten schreiben oder Studienaufenthalte in Berlin haben, um in Archive zu gehen. Wir haben nicht nur Bücher, sondern auch Archivmaterial, obwohl wir im eigentlichen Sinne kein Archiv sind. Aber das haben Spezial-Bibliotheken so an sich. Und manchmal gibt es eben noch einen Stapel Briefe oder Manuskripte dazu oder Fotos. Damit müssen wir konstruktiv umgehen.

Haben Sie einen persönlichen Bezug zum Judentum?

Ich bin nicht jüdisch, arbeite aber jetzt seit 20 Jahren hier in dieser Einrichtung und natürlich kann man das als Bezug zum Judentum sehen. Die meisten Kollegen sind ebenfalls nicht jüdisch; aber es gibt auch welche, die jüdisch sind. In jedem Fall muss man von Anfang an ein Interesse für das Thema mitbringen.

Kann ich das MMZ durch veröffentlichte Werke oder sein Agieren bemerken?

Es gibt kaum ein Institut, das so produktiv ist wie unseres. Wir haben in 20 Jahren ungefähr 350 Publikationen herausgegeben und die Forschung dazu dauert in der Regel zwei bis fünf Jahre. Die Bücher erscheinen in verschiedenen Verlagen, zum Teil in kleinen Verlagen, aber auch in einem der wichtigsten Wissenschaftsverlage der Bundesrepublik, de Gruyter. In diesem haben wir eine ganze Reihe, wo jedes Jahr 20 bis 25 neue Bücher erscheinen. Das sind dann oft Forschungsergebnisse von unserem Graduiertenkolleg. In Potsdam erscheint ab und zu ein Artikel in den Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) oder in der Märkischen Allgemeinen Zeitung (MAZ), das ist insgesamt also etwas unterrepräsentiert. Aber es betrifft auch nicht immer Themen für ein breites Publikum.

Interview mit Dr. Olaf Glöckner, wissenschaftlicher Mitarbeiter im MMZ, am 21. März 2019

Warum forschen Sie in diesem Bereich?

Ich selbst habe keinen jüdischen Hintergrund, arbeite hier am MMZ jedoch mit jüdischen wie nichtjüdischen Kollegen gleichermaßen zusammen. Ich studierte zuerst Israelwissenschaften, weil mich Israel interessiert. Ich war zum Beispiel als Freiwilliger für ein halbes Jahr in einer Kibbuz-Siedlung in Israel, mit sehr starken sozialistischen Prinzipien, weil die Leute das wollen. Es gibt dort zum Beispiel ein Rotationsverfahren für wichtige Ämter, also jeder macht mal jeden Job. Und das hat mich interessiert. In diesem Kibbuz in der Negev-Wüste haben alle zusammengearbeitet – und auch gemeinsam gegessen in einem großen Speisesaal. Das waren dort 300 oder 400 Leute. Besonders für ältere Menschen ist das sehr gut; wenn man zum Beispiel nicht zum Essen kommt, ist meistens klar, dass irgendetwas passiert ist, und dann wird geschaut. Die Kibbuz-Zeit war für mich eine tolle Zeit. Ich habe, wie die meisten dort, in der Landwirtschaft gearbeitet, spannende Leute kennengelernt und mich zum ersten Mal mit der hebräischen Sprache befasst.

Dann habe ich erfahren, dass man an der Humboldt-Universität zu Berlin ein länderkundliches Studium „Israelwissenschaften“ absolvieren kann. Dafür habe ich mich dann entschieden. Den Hauptteil des Studiums absolvierte ich aber in Potsdam, weil es dort seit 1994 die Jüdischen Studien gibt, die sich insgesamt mit jüdischer Geschichte, Religion, Sprache, jüdischer Kultur und mit noch vielem mehr befassen, also nicht nur mit Israel. Parallel dazu studierte ich aber noch moderne Geschichte. Ich habe mich aber auch für andere Themen interessiert, zum Beispiel für die Opposition in der DDR.

Gegen Ende meines Studiums habe ich eine Lehrveranstaltung besucht über russisch-sprachige Juden, die in einer größeren Zahl in den 1990er Jahren nach Deutschland gekommen sind. Das interessierte mich sehr, und ich habe darüber dann meine Abschlussarbeit geschrieben. Damit beschäftige ich mich aber teilweise immer noch, auch meine Doktorarbeit habe ich darüber geschrieben. Die russischsprachigen jüdischen Immigranten der 1990er Jahre haben das Leben der jüdischen Gemeinden in Deutschland sehr verändert, vor allem haben sie die Gemeinden wieder ein Stück weit demographisch stabilisieren können.

Wie kann man sich Ihren Tagesablauf vorstellen?

Der ist sehr unterschiedlich. Wir bieten Lehrveranstaltungen und Kurse für die Studenten der Universität Potsdam an, über jüdische Themen der Geschichte und Gegenwart. Außerdem forschen wir zu verschiedenen Themen und schreiben Bücher dazu, organisieren Konferenzen und gehen natürlich auch in die historischen Archive. Mein Schwerpunkt ist die jüdische Migration, vor allem in der Gegenwart, und da kommen immer noch neue Themen hinzu. Es gibt inzwischen auch Israelis, die in größerer Zahl nach Deutschland kommen. Damit beschäftigen wir uns aber noch nicht so intensiv. Dem gegenüber haben wir uns viel mit der Entwicklung der jüdischen Gemeinden in Deutschland seit 1989/90 beschäftigt, die anfangs durch die russisch-sprachige Zuwanderung aus der untergehenden Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten geprägt war.

Manchmal gibt es auch Tage, an denen wir viele Fragen von außerhalb beantworten müssen. Es rufen dann zum Beispiel Lehrer, Journalisten und manchmal auch Politiker an. Sie haben Fragen zur Geschichte der einstigen jüdischen Gemeinden in Brandenburg, nicht nur jener Gemeinde in Potsdam. Sie interessieren sich auch für die eher kleinen jüdischen Gemeinden, die es heute an verschiedenen Orten in Brandenburg gibt. Manche Anfragen betreffen auch den heutigen Staat Israel, und die wirklich harten Themen sind Holocaust und Antisemitismus. Auch hier werden uns Fachfragen gestellt, die die Gegenwart betreffen können. Antisemitismus ist leider ein Thema, das noch nicht abgeschlossen ist.

Welche Ziele, Projekte und Publizierungen stehen denn jetzt an?

Im Moment haben wir eine internationale Kooperation mit Kollegen aus Prag und aus Tel-Aviv. Gemeinsam beschäftigen wir uns mit Jüdinnen und Juden, die zurzeit in europäischen Großstädten, wie zum Beispiel Prag, Budapest und Berlin leben, und wir versuchen herauszufinden, ob sich das Zusammenleben zwischen Juden und Nicht-Juden im Vergleich zu der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg verändert hat. Wir fragen zum Beispiel, wie viel sie miteinander unternehmen, ob sie sich gut verstehen, ob sie sich streiten, was gemeinsam geht, was nicht geht, etc. Dieses Projekt hat gerade erst begonnen, und es wird finanziell gefördert von der Europäischen Union. Am Ende wollen wir darüber ein Buch schreiben, und es wird auch ein spezielles Webportal zu diesem Thema eingerichtet.

Wie erfolgt die Finanzierung für solche Projekte?

Bei so einem internationalen Projekt, wie dem eben beschriebenen, muss man sich jemanden suchen, der das fördert, z. B. Stiftungen oder Forschungsgesellschaften. Das Land Brandenburg fördert aber die allgemeine Arbeit unseres Institutes, wofür wir sehr dankbar sind. Wenn wir dann extra Forschungsideen entwickeln und noch mehr Wissenschaftler in unsere Studien und Projekte einbeziehen wollen, müssen wir auch für eine extra Finanzierung sorgen.

Warum gibt es Institute wie das MMZ, und warum sind sie Ihrer Meinung nach wichtig?

Es gibt in Potsdam ganz verschiedene Institute, die sich auf historische, politikwissenschaftliche und soziologische Schwerpunkte spezialisiert haben. Unser Institut fokussiert zu ganz wesentlichen Teilen auf jüdische Geschichte und Gegenwart. Unsere Forschungen, aber auch unsere Lehrprogramme, Publikationen, Konferenzen und Ausstellungen haben auch einen aufklärerischen Effekt, da ein Großteil der Bevölkerung über die jüdische Geschichte nach 1945 so gut wie gar nichts weiß. Es ist uns wichtig, interessierten Menschen mehr Wissen über jüdische Geschichte und Gegenwart in Brandenburg, in Deutschland, aber auch in Europa zu vermitteln. Diese Geschichte ist sehr reichhaltig, und sie beschränkt sich keineswegs auf die Jahre von 1933 bis 1945.

Haben Sie selbst schon einmal Antisemitismus erlebt?

Obwohl wir ein öffentliches wissenschaftliches Institut sind, kann es natürlich jederzeit passieren, dass wir direkt als jüdische Einrichtung betrachtet und auch angefeindet werden. Seit es das Moses Mendelssohn Zentrum gibt, sind immer mal wieder anonyme – und manchmal nichtanonyme – antisemitische Briefe und Emails hier angekommen. Manchmal sind sie sehr hasserfüllt, aber teilweise auch sehr zynisch. Es gibt im MMZ eine Forschungsstelle, die sich direkt mit Rechtsextremismus befasst und die auch aktuelle Fälle dokumentiert. Nicht jede antisemitische Straftat, und auch nicht jeder antisemitische Brief stammen von Rechtsextremisten, aber häufig kommt beides zusammen. Und das wird dann hier auch analysiert und ausgewertet.
Wichtig ist aber auch, dass Betroffene von Antisemitismus sich an Stellen wenden können, die ihnen in so einer Situation zur Seite stehen und schnell helfen können. Die Frage ist natürlich, ob die Leute es melden, wenn sie so etwas erleben. Viele von den leichteren antisemitischen Fällen werden gar nicht gemeldet. Wenn sich aber jemand, der Erfahrungen mit Antisemitismus gemacht hat, bei uns meldet, können wir ihm/ihr Hilfe vermitteln. Es gibt zum Beispiel das Berliner Webportal RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus), bei dem man solche Fälle melden und registrieren lassen kann. Wenn zum Beispiel jemand auf offener Straße angespuckt wird, ist die Frage, ob er das meldet oder skeptisch ist, ob das überhaupt in der Dokumentation aufgeführt wird. Rechtsextremismus kann einem im Alltag begegnen, muss aber nicht automatisch strafrechtlich verfolgt werden. Von vielen wird es als Thema auch vermieden, die sagen, sie wollen da gar nicht ran.

Dann bedanken wir uns ganz herzlich für das Interview.

Sehr gerne, ich finde toll, dass es immer wieder Gymnasien gibt, die sich mit jüdischer Geschichte und Gegenwart befassen wollen.