Viktoria-Gymnasium

Charlotte Kremer

Das „Hermann-von-Helmholz-Gymnasium“ zählt heute in Potsdam zu den renommiertesten Gymnasien. Doch viele wissen nicht, dass in diesem Gebäude früher das „Königliche Viktoria-Gymnasium“ untergebracht war, in dem viele jüdische Schüler lernten.

1738 gehörte Potsdam mit 10.000 Einwohnern schon zu den größeren Städten Preußens. Viele Kinder konnten aufgrund von Schulplatzmangel nicht zur Schule gehen, einem Problem, das vor allem bei weiterführenden Schulen auftrat. Aus diesem Grund ließ der damalige König Friedrich Wilhelm I. eine neue Schule in der Nauener Straße 45 (heute Friedrich-Ebert-Straße 17) erbauen, die am 18. August 1739 unter dem Namen „Grande École“ (dt. „Große Stadtschule“) eingeweiht wurde.

Die Potsdamer Bewohner sahen die zweistöckige Schule als „groß“ an, obwohl sie nur über vier Klassenräume und einen Hörsaal verfügte. Außerdem gab es vier Wohnungen für Lehrer. Die Schule war für 75 bis 100 Schüler gebaut worden. Man vermutet aber, dass zuerst nur 30 bis 50 Kinder an der Schule lernten, und zwar aus dem Adel und dem gehobenen Bürgertum. Allerdings gab es an der Grande École nicht unser heutiges Klassen-, sondern das Fachsystem. Das heißt, dass z.B. drei Schüler das Fach Latein hatten während vier andere eine französische Lehrstufe bildeten. Auf diese Weise konnte der Unterricht in mehreren Fächern gleichzeitig in einem Klassenraum stattfinden. Außerdem wurde der Hörsaal neben seiner Verwendung für Schul-und Religionsfeiern als Unterrichtsraum verwendet.

Die Grand École bestand ca. 100 Jahre lang als Bildungseinrichtung mit der Aufgabe, die Schüler auf ein Studium an der Universität vorzubereiten. Doch nach und nach stieg die Einwohnerzahl von Potsdam, womit auch der  Bedarf an Schulplätzen stieg. Hierfür reichte der Platz im Gebäude bald einfach nicht mehr aus. Im Zuge der Preußischen Reformen von 1812 hatte die Schule den Status eines Gymnasiums erhalten und führte das Klassensystem ein. Damit wurde sie unter Staatsaufsicht gestellt, die durch die Stadt Potsdam ausgeübt wurde. Drei Jahre später zählte die Einrichtung bereits mehr als 230 Schüler; zwischen 1825 und 1870 stieg ihre Zahl nochmals von knapp 300 auf 380. Unter den Gymnasiasten befanden sich nun auch jüdische Kinder, von denen einige außerdem das Abitur ablegten.

Allerdings war der Platzmangel nicht das einzige Problem, denn ab 1850 begann das Gebäude marode zu werden. Lichter funktionierten nicht mehr und die Schule war in einem sehr schlechten Zustand. Deshalb beschloss man, für den Gymnasialzweig ein neues Gebäude in der nahegelegenen Kurfürstenstraße zu bauen. Der Architekt Vogdt verband hierbei Elemente der Spätgotik mit der Renaissance.

Am 21. Oktober 1878 fand die feierliche Einweihung des Neubaus unter Anwesenheit von Schülern und Lehrern der Schule sowie geladenen Gästen statt. Benannt wurde sie nach der damaligen Kronprinzessin Auguste Viktoria „Königliches Viktoria-Gymnasium“, die zugleich die Schirmherrschaft übernahm. Die für damalige Verhältnisse sehr gut ausgestattete Schule ließ sich per Luftheizung erwärmen, verfügte über Gasbeleuchtung und besaß Wasserleitungen. Das Gebäude umfasste 21 Klassenzimmer, ein Konferenzzimmer, ein Schuldirektoren-Büro, mehrere Lehrerzimmer und einen Zeichensaal. Außerdem gab es Zimmer mit verschiedenen Sammlungen und ein Gesangszimmer.

Die Schule wurde nach neuhumanistischem Bild geführt, eine Geistesströmung, die erneut auf das Gedankengut der klassischen Antike zurückgriff und sich am Menschenbild der griechischen Kultur orientierte. Der erste Schulleiter Dr. Volz, der auch schon Direktor der „Grande École“ gewesen war, legte in diesem Sinne viel Wert auf die Harmonie zwischen den Schülern und die Weiterentwicklung des Geistes.

Doch in der damaligen Gesellschaft, nicht nur in Potsdam, gab es viel Kritik am Neuhumanismus. Nach der Schulreform 1892 änderte sich am Viktoria-Gymnasium vieles an der Lehrweise und Wissensvermittlung, z.B. fielen Übersetzungen vom Deutschen ins Griechische weg, auch das gelegentliche Lateinsprechen oder die lateinische Poetik gehörten nicht mehr zum Unterricht. Der Neuhumanismus war damit nicht mehr Bestandteil des Curriculum. Denn im industriellen Zeitalter entsprach dieser Ansatz nicht mehr den Anforderungen moderner Bildung für breite Bevölkerungsschichten. Das Vorbild der Antike wurde nun vor allem durch deren Schriftsteller vermittelt.

Nach Auseinandersetzungen mit der Stadt über diese neue Ausrichtung verließ der Schulleiter das Gymnasium. Die Schule war sehr vielfältig, so gab es nicht nur Turnwettbewerbe, auch die Naturwissenschaften und die Musik spielten eine große Rolle. Neben Fächern wie Mathematik und Sport wurde auch Englisch unterrichtet. Da viele jüdische Schüler das Viktoria-Gymnasium besuchten, blieb der bereits seit 1817 angebotene Hebräisch-Unterricht fester Bestandteil des Lehrprogramms. Außerdem verfügte die Schule über sehr gute Lehrer, vor allem die Religionsvorträge des Theologen Paul Lange waren sehr angesehen. In dieser Zeit brachte das Viktoria-Gymnasium in Potsdam viele später bekannte Persönlichkeiten hervor, zum Beispiel den Philosophen Wilhelm Windelband (1848-1915), den Geographie-Professor Wilhelm Volz (1870-1958). Doch die mit Abstand berühmteste Person des Viktoria-Gymnasiums ist der Physiker Hermann von Helmholtz (1821-1894), nach dem später auch das Gymnasium benannt wurde. Zu den bekanntesten jüdischen Schülern des Gymnasiums zählten der Mathematiker Carl Gustav Jacobi (1804-1851) und der Physiker Moritz Hermann Jacobi (1801-1874).

Nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten im Jahr 1933 strich die Schulleitung den Hebräisch-Unterricht aus dem Lehrprogramm. Mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums am 7. April 1933 verloren viele jüdische Lehrer ihre Anstellung. Seit dem 15. November 1938 durften überhaupt keine jüdischen Kinder mehr auf öffentliche Schulen gehen. Ob und welche Schüler und Lehrer des Potsdamer Viktoria-Gymnasiums davon betroffen waren, ist nicht bekannt.

Das Gebäude überstand aber den Zweiten Weltkrieg unbeschadet. Anfang 1945 war hier zunächst ein Flüchtlingsasyl untergebracht. Bereits am 22. Mai 1945 wurde der Schulbetrieb wieder aufgenommen. Doch fehlten viele Lehrer: einige waren im Krieg gefallen, andere mussten wegen ihrer NS-Vergangenheit die Schule verlassen. Deshalb stellte man ab 1945/1946 viele Quereinsteiger, sogenannte Neulehrer, ein, die zum Teil nicht wesentlich älter waren als ihre Schüler. Aus den Gymnasien wurden in der DDR Erweiterte Oberschulen (EOS). Das Viktoria-Gymnasium erhielt den Namen „EOS Hermann von Helmholtz“. In der DDR galt sie als eine der besten Schulen. Nach der Wende, im Jahr 1991, wurde aus der Erweiterten Oberschule wieder ein Gymnasium.

Heute ist das Hermann-von-Helmholtz-Gymnasium eine Schule mit einem naturwissenschaftlichen, bilingualen (englischen) und musikalischen Zweig. Zurzeit werden ca. 780 Schüler von etwa 60 Lehrern unterrichtet.

Literatur:

Hans Kania: Geschichte des Viktoria-Gymnasiums zu Potsdam, zur 200-Jahr-Feier, Potsdam, 1939.

Königliches Viktoriagymnasium in Potsdam: Festschrift zur Feier der 100jährigen Anerkennung als Gymnasium am 10. und 11. November 1912, hrsg. von H. Rassow, Potsdam 1912.

Robert Kaelter: Geschichte der jüdischen Gemeinde zu Potsdam. hrsg. von Julius H. Schoeps und Hermann Simon,Berlin, 1993.

Internet:

Hermann-von Helmholtz-Gymnasium, in: https://www.helmholtzschule.de/ (03.04.2019)

Große Stadtschule: in https://www.potsdam-wiki.de/index.php/Große_Stadtschule (03.04.2019)

Schule des Zweiten Bildungswegs Heinrich von Kleist, in: http://zbw-kleistschule.de/275-jahre/ (17.05.2019)

Beitragsbild: Charlotte Kremer