Landgericht Potsdam

Karla Sophie Prager

In der Jägerallee 10-12 liegt eines der vier Landgerichte im Bundesland Brandenburg, das Landgericht Potsdam. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts wurde in Potsdam ein „Königliches Stadtgericht“ erbaut. Aus Anlass der Reichsjustizverfassung vom 1. Oktober 1879 wurde die Stadt am 22. Mai 1883 Sitz des „Königlichen Landgerichts“ und des „Königlichen Amtsgerichts“. Nach der Gründung der DDR wurden die Kreisgerichte Potsdam-Land und Potsdam-Stadt eingeführt und 1993 zum Amtsgericht Potsdam zusammengefasst. Heute gehören zum Bezirk des Landgerichts unter anderem die Amtsgerichte Brandenburg an der Havel, Luckenwalde, Nauen, Rathenow, Zossen und Potsdam.

„Fast 70 Jahre sind vergangen, seitdem die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht übernahmen und damit begannen, die jüdischen Mitbürger zu boykottieren, zu entrechten, zu misshandeln und schließlich systematisch umzubringen. Es wurden Verbrechen begangen, die jedes Vorstellungsvermögen übersteigen. Die Justiz ließ sich dabei als beliebig einsetzbares Instrument zur Durchsetzung von Machtpolitik missbrauchen.“ (1)

So Hans-Jürgen Wende im Juni 2002 als damaliger Präsident des Landgerichts Potsdam. Nachdem er 1998 eine Ausstellung in Berlin zu den Schicksalen jüdischer Rechtsanwälte besuchte, stand sein Entschluss fest, eine Dokumentation zu jüdischen Juristen im Landgerichtsbezirk Potsdam drehen zu lassen. Diese wurde von verschiedenen Historikern recherchiert und mit finanzieller Unterstützung von außen, wenige Jahre später veröffentlicht. Dies war und ist nicht das einzige Engagement des Landgerichts zur Aufarbeitung von jüdischer Geschichte in Potsdam. So sind z.B. die Stolpersteinflyer 6 und 7 jüdischen Juristen gewidmet. Außerdem ließ das Landgericht einen Innenstadtplan von Potsdam zu Orten anfertigen, an denen jüdische Juristen arbeiteten, zumeist Rechtsanwälte mit eigenen Kanzleien, aber auch Richter und Staatsanwälte. Das Highlight war eine Ausstellung, die im April 2018 im Landgericht selbst eröffnet wurde. Sie umfasste viele Banner mit Informationen und Bildern zu Schicksalen der Juristen, erstellt vom Landgericht Potsdam und der Potsdamer Juristischen Gesellschaft.

Anfang des 18. Jahrhunderts lebten Juden in Beelitz, Potsdam, Rathenow und Friesack. Aber erst mit dem Erlass des Emanzipationsgesetzes von 1812 begann der Prozess der rechtlichen Gleichstellung der Juden. Gleichzeitig kam es im Zuge von Industrialisierung und Nationenbildung zur steten Verbürgerlichung der Gesellschaft. In dieser Phase der Annäherung mussten auch bestehende Rechte und Vorschriften angeglichen oder neue Regelungen definiert werden. So befassten sich mehr Juden mit dem Rechtswesen; der Anteil von jüdischen Juristen stieg trotz anhaltender Ausgrenzung.

Es dauerte einige Zeit, bis Juden auch in den öffentlichen Dienst eintreten konnten. So kam es 1862 zum Streit darüber, dass Assessoren (Anwärter der höheren Beamtenlaufbahn nach der zweiten Staatsprüfung) jüdischer Religion nicht zu Richtern berufen wurden. Dies wurde ihnen mit dem Argument verwehrt, dass sie nicht die christliche Eidesformel sprechen und selbst keinen Eid abnehmen durften. Zudem wurde auf das religiöse Arbeitsverbot, am wöchentlichen Feiertag Sabbat, verwiesen. Die damit beschäftigte Petitionskommission stellte jedoch die Fürsorge hinter diesen Argumenten in Frage und vermutete vorrangig politische Gründe als die Rücksicht auf die Religion.

Mit einem Gesetz von 1869 wurden für das Gebiet des Norddeutschen Bundes alle bis dahin einschränkenden Regelungen bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte für Juden aufgehoben; ein weiterer Schritt in Richtung Gleichstellung. Diese fand jedoch formal statt, in der Realität gab es für Juden nach wie vor viele Hürden zu meistern. Tatsächlich wurde 1870 mit Jeremias Mai erstmals ein jüdischer Jurist, in Beuthen (Schlesien, Polen) zum Richter bestellt.

Das Trennende zur äußeren Umgebung war in den nächsten Jahren schwächer geworden, Juden hatten an den Befreiungskriegen teilgenommen. Preußen war zur Heimat geworden, das Diaspora-Bewusstsein schwand zusehends. Dieser Integrationsprozess bewirkte einen immer stärkeren Wandel der Gemeinden in Brandenburg. In dieser Zeit veränderte sich nicht nur das Verhältnis zwischen jüdischen und nichtjüdischen Bewohnern, sondern auch die Haltung in den jüdischen Gemeinden selbst. Neben strenge religiöse Prinzipien traten liberale Tendenzen.

Im Bekenntnis zu Deutschland war es für viele eine selbstverständliche Bürgerpflicht, 1914 in den Krieg zu ziehen. Von 13 Potsdamer Juden ist bekannt, dass sie im Ersten Weltkrieg kämpften, einige davon in den grauenvollen Schlachten bei Verdun. Sieben wurden für ihre Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet. Doch für viele bedeutete der Krieg grausame Verluste. Rechtsanwalt Gustav Herzfeld verlor sein einziges Kind bei den Kämpfen, der junge Joachim Herzfeld fiel als Leutnant im Alter von 21 Jahren. Den Verlust konnte seine Mutter nicht verkraften und nahm sich schließlich aus Kummer das Leben. Zuvor war der Leichnam ihres Sohnes noch auf dem Bornstedter Friedhof begraben worden.

Nach dem Krieg konnte anhand von verschiedenen Beispielen belegt werden, dass es bei den jüdischen Juristen das gesamte Spektrum – die Nationalsozialisten ausgenommen – an politischen Haltungen gab, wobei es eine Tendenz zum National-Konservativen gab.

Seit rund zweihundert Jahren lebten Juden in Brandenburg, doch ihre Situation verschlechterte sich durch den stärker werdenden Antisemitismus. Adolf Hitler und die NSDAP wurden immer einflussreicher und übernahmen die politische Macht. Nach dem Reichstagsbrand Ende Februar 1933 wurden rund 4.000 politische Gegner verhaftet. Im kommenden Monat kam es zu gewaltsamen Vertreibungen jüdischer Justizbeschäftigter von ihren Arbeitsplätzen in ganz Deutschland. Beispielsweise wurden in Breslau Amts- und Landesgerichtsgebäude von SA-Leuten gestürmt und mit den Rufen „Juden raus!“ alle jüdischen Rechtsanwälte, Richter und Staatsanwälte gezwungen, die Gebäude zu verlassen.

Am 1. April 1933 kam es zu einem reichsweiten Boykott (= politische, wirtschaftliche oder soziale Ächtung) jüdischer Einrichtungen, der zu einem Eklat führte und die Lage in Potsdam zuspitzte. Nach dieser Aktion wurden alle jüdischen Richter und Staatsanwälte „beurlaubt“, Hausverbote für jüdische Anwälte erteilt und ihre Zulassung entzogen. So berichtete die Potsdamer Tageszeitung an diesem Tag: „Es kam verschiedentlich zu lebhaften Diskussionen […] Bis zum frühen Nachmittag ist die Aktion, wie uns die Polizei auf Anfrage mitteilt, ohne besondere Zwischenfälle verlaufen.“ Hinzu kamen noch andere Maßnahmen und Verbote für jüdische Juristen. Von unmittelbar Betroffenen gibt es heute nur noch einen Bericht über die dramatischen und diskriminierenden Ereignisse. Sally Cohn, Rechtsanwalt und Notar in Brandenburg, erinnerte sich später: „Am Tag des Boykotts der Juden, am 1. April 1933, standen zwei SA- und SS-Männer vor meinem Büro und verhinderten Arier beim Betreten. Plakate mit der Anzeige, das Aufsuchen meines Büros und meiner Wohnung [bedeutete] Landesverrat, waren an meine Tür angeheftet. Der Aufsichtsrichter telefonierte mir, dass ich zur Vermeidung von Hausfriedensbruch, das Gericht nicht mehr betreten dürfe. Alles wurde in der lokalen Presse veröffentlicht.“ (2)

Ende des Jahres kehrte etwas Ruhe ein und man dachte, die größte und schlimmste Welle der Diskriminierung und Ausgrenzung überstanden zu haben, doch dies war nur Schein: Es gab keine unabhängigen politischen Parteien mehr, keine Gewerkschaften und keine freie Presse. Die Nürnberger Rassegesetze im September 1935 spalteten die Gesellschaft endgültig in jüdisch und nichtjüdisch. Juden wurden die Bürgerrechte aberkannt und es wurde zwischen „Volljuden“ und „Mischlingen“ differenziert, das als Akt der höchsten Verachtung von Menschen zu sehen ist. Alle noch im Amt verbliebenen jüdischen Beamten wurden entlassen.

Von den elf ab Herbst 1933 noch im Landgerichtsbezirk Potsdam tätigen Rechtsanwälten jüdischer Herkunft waren Anfang 1938 nur noch acht am Leben. Raphael Josephsohn war 1934 gestorben, Bernhard Meyer hatte 1935 einen Suizidversuch unternommen und starb an dessen Folgen, Louis Pink starb ein Jahr nach Aufgabe seiner Kanzlei 1936 in Berlin. Ebenso hatten Ernst Gumpert, Joseph Josephsohn und Ernst Nathan aus ökonomischen Gründen ihre Kanzlei aufgegeben; ihnen fehlte die Existenzgrundlage.

Neben vielen Vorschriften, wie das Tragen eines gelben Sterns an der äußeren Bekleidung ab 1941, kam es oft zu Fällen von Schutzhaft, die unterschiedlich lang ausfallen konnte. Dabei muss betont werden, dass die einzige Grundlage für die Inhaftierung, die Tatsache jüdischer Herkunft zu sein, ausreichte. Neben dieser Gefängnishaft wurden ein Großteil der männlichen jüdischen Bevölkerung zwischen 20 und 60 Jahre, insgesamt mehr als 30.000, in den bereits existierenden Konzentrationslagern inhaftiert. Die aus Potsdam stammenden Juristen Richard Josephson, Ludwig Levy, Herbert Marcuse und der ehemalige Jurastudent Paul Schreiber wurden in das für den Berliner und Brandenburger Raum errichtete KZ Sachsenhausen bei Oranienburg verschleppt.

Über jüdische Juristen, die den Zweiten Weltkrieg überlebten, ist nicht viel bekannt. Einige führten ihr Leben im Ausland fort. Doch fraglich ist, ob man nach einer Zeit von Ausgrenzung, Ausraubung und schließlich Ausrottung noch ein glückliches Leben führen kann. Wenn man als einer der wenigen, wie der Potsdamer Ernst Westphal in Deutschland überlebt hatte und in den 1950er Jahren einen Antrag auf Wiedergutmachung stellte, musste man mit sehr langen Wartezeiten und der Frage nach Beweismaterial rechnen. Dies stellte in den meisten Fällen große Probleme dar, da die Betroffenen meist alle Unterlagen verloren hatten.

„Die Dokumentation kann die unsäglichen Leiden und Verletzungen nicht ansatzweise wieder gutmachen. Sie soll allerdings dazu beitragen, die Erinnerung an dieses dunkelste Kapitel deutscher Geschichte wach zu halten und jedem noch so zarten Keim antisemitischen Gedankengutes Einhalt zu gebieten.“ (3)

Diese Worte lassen sich ebenso auf dieses Projekt anwenden und sollten jedem die Wichtigkeit dessen bewusst machen.

Internet:

Landgericht Potsdam, in: http://www.lg-potsdam.brandenburg.de (5.5.2019)

Literatur

(1) Hans Bergmann und Simone Ladwig-Winters: Für ihn brach die Welt, wie er sie kannte, zusammen… Juristen jüdischer Herkunft im Landgerichtsbezirk Potsdam, Potsdam, 2003, S. 5.

(2) Ebd., S. 38.

(3) Claus Peter Ladner, in: Ebd., S. 7.

Beitragsbild: Karla Sophie Prager